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"Debye kann aus gutem Grund ein Opportunist genannt werden"
Die gerade erschienene Studie "In naam der wetenschap?" des holländischen Kriegsforschungsinsitut "NIOD" bestätigt das Ergebnis des Kapitels "Einstein en Debye" aus meinem Buch "Einstein in Ne­der­land" (2006).
   Zusammenfassend meint der Autor: "Debye kann nach seiner Ankunft in Amerika aus gutem Grund ein Opportunist genannt werden" (S. 127).
   Die Studie zeigt aber auch, wie notwendig es ist, klarzustellen, dass Debye kein Nationalsozialist war, wenngleich seine nationale und konservative Grundhaltung sich - zumindest in den Anfangsjahren des Dritten Reiches - mit manchen Ansichten der Nationalsozialisten vertrug. Politik interessierte ihn nur, soweit sie für seine wissenschaftliche Forschung von Bedeutung war.

Mir ging es in meinem Buch "Einstein in Ne­der­land" nicht um eine Gesamtwürdigung von Peter Debye. Ich wollte verstehen, warum sich Einstein 1940 so auffällig kritisch über Debye geäußert hat.
   Die dargestellten Tatsachen in "In naam der wetenschap?" bestätigen, dass alle Angaben in meinem Kapitel über Einstein und Debye auf historischen Belegen fußen.

In meinem Buch habe ich mich also auf das Verhältnis zwischen Einstein und Debye beschränkt. Es ging mir nicht darum, Debye insgesamt zu würdigen, sondern darum, Einsteins Enttäuschung über Debyes Verhalten zu verstehen und nachvollziehbar zu machen. Einstein selbst hatte sehr bittere Erfahrungen gemacht, als er sich 1933 als Jude gezwungen sah, aus Nazi-Deutschland zu emigrieren. Dafür hat er nicht nur Debye, sondern - mit einigen wenigen Ausnahmen – alle seine ehemaligen deutschen Kollegen verurteilt. Ob sich Debyes Verhalten nun von dem seiner Kollegen unterschied oder nicht, war für Einstein gar keine wichtige Frage. Ihm reichte das hohe Maß an Opportunismus und die Anpassung von Debye, um ihn zu verurteilen.

Einstein war damit übrigens nicht der einzige. Debye war eine Persönlichkeit, die kontrovers diskutiert wurde. Die einen bewunderten ihn wegen seiner Forschungen, seines Glaubens an das Ideal einer "reinen Wissenschaft" und seiner "cleveren" Verhandlungstaktiken, die anderen - darunter Albert Einstein - bezeichneten ihn als "Opportunisten". Sogar ausführlichste Studien der amerikanischen und deutschen Geheimdienste konnten in den Kriegsjahren die Frage nicht lösen, "auf welcher Seite" Debye eigentlich stehe.

Als Historiker sehe ich es als meine Aufgabe, diese Unsicherheit aus Archiven und Sekundärliteratur einem allgemeinen Publikum zugänglich zu machen. Ich habe in meinem Kapitel über Einstein und Debye dargestellt, warum Einstein bei Debye etwas tat, was er bei keinem seiner anderen Kollegen getan hat: aus nicht-wissenschaftlichen Gründen öffentlich gegen jemanden zu agitieren.

Diese Frage war eine recht überschaubare historische Detailfrage. Wie man heute - 60 Jahre später - über Debye urteilen sollte, ist eine Frage von einer ganz anderen Dimension. Um sie beantworten zu können, muss man Debye detailliert in seinem historischen Kontext darstellen. Das ist etwas, was im Rahmen meines Buches nicht beabsichtigt und auch nicht möglich war. Die Studie des Kriegsforschungsinstituts NIOD hat jetzt zur Klärung beigetragen.
Trotzdem gibt auch "In naam der wetenschap?" keine endgültigen Antworten ­ weil die Person Peter Debyes dafür viel zu wenig greifbar ist. Über ihn streiten sich die Gelehrten ­ das war schon damals so und gilt auch heute.

Web:
PDF download "In naam der wetenschap?"